Methodenkoffer

Ideen und Anregungen für gutes Projektmanagement


Liberating Structures


  • Nötige Vorbereitung: Keine
  • Zeitaufwand: Je nach Umfang und Komplexität des Projektes und der Mikrostruktur
  • Benötigte Materialien: Je nach Mikrostruktur
  • Ansprechpartner*in PMO: Corinna Müller

Beschreibung: Was sind Liberating Structures ?

Liberating Structures (LS) ist ein Repertoire aus 33 Mikrostrukturen. Das bedeutet unter LS wird eine Art Methodenbaukasten zusammengefasst. Die einzelnen Mikrostrukturen sind dabei schnell zu erlernende Methoden, die in sechs Bereiche geclustert sind: Offenlegen, Teilen, Analysieren, Strategien entwerfen, Helfen und Planen. Nichtsdestotrotz teilen sich die einzelnen Mikrostrukturen in Grundsätze auf, auf denen sie basieren, die der Umsetzung immer zugrunde liegen und ebenso ein agiles Mindset widerspiegeln.

  • Include and unleash everyone
  • Practice deep respect for people and local solutions
  • Never start without a clear purpose
  • Build trust as you go
  • Learn failing forward
  • Practice self-discovery within a group
  • Amplify freedom and responsibility
  • Emphasize possibilities: believe before you see
  • Invite creative destruction to make space for innovation
  • Engage in seriously playful curiosity
    (Lipmanowicz/McCandless S. 29)

Ziel(e) und Nutzen der Methode

„Liberating Structures are designed to transform the way people collaborate, how they learn, and how they discover solutions together. They support and spark creative adaptability“ (Lipmanowicz/McCandless S. 21)

Ziel von LS ist es alle Beteiligten gleichermaßen einzubeziehen und so Kreativität zu fördern und Potenziale auszuschöpfen. Dadurch soll eine Many-to-Many statt eine One-to-Many Kommunikation etabliert werden, die besonders im Betriebskontext Silos abbaut und Entscheider*innen mit Umsetzer*innen zusammenbringt. LS und seine einzelnen Mikrostrukturen sind dabei schnell zu erlernen und anzuwenden; es ist kein formales Training nötig.

Theoretische Grundlagen

Die Grundlage von LS ist die Unterteilung in Makro- und Mikrostrukturen. Die Makrostrukturen sind dabei nur schwer oder nur langfristig veränderbar.

Makrostrukturen

  • Gebäude
  • Unternehmensstrategien
  • Organisationsstrukturen & Kultur

Mikrostrukturen

  • Räume
  • Präsentationen und Agenda
  • Fragen und Diskussionen

Deshalb setzen die LS auf der Ebene der Mikrostrukturen an, um durch kleine Veränderungen schnelle Wirkungen zu erzielen. Sie verstehen sich dabei als Gegenentwurf zu den sogenannten konventionellen Mikrostrukturen. Als konventionelle Mikrostrukturen gelten klassische Präsentationsformate, wie etwa ein Vortrag, eine offene Diskussion, ein Brainstorming oder auch ein Statusbericht. Dabei bieten Formate wie ein klassischer Vortrag oder ein Statusbericht ein sehr statisches Setting mit sehr viel Kontrolle. So bestimmt meist eine moderierende Person, wer zu Wort kommt und für wie lange. Ein Brainstorming oder offene Diskussionen bieten hingegen zu wenig Kontrolle. So stellt sich in diesen Formaten eher die Frage “Wo höre ich auf?”. LS verstehen sich hier insofern als Gegenentwurf zu den konventionellen Mikrostrukturen, da durch LS alle gleichermaßen miteinbezogen werden.

Anwendung

In den folgenden Abschnitten werden drei Beispiele für LS erläutert. Alle LS lassen sich auch sehr gut mit den unter “Weiterführende Informationen” aufgeführten Ressourcen schnell selbst erlernen. Bei der Anwendung von LS sind dabei immer die gleichen Punkte zu beachten. Zunächst die Einladung, die ein konkretes Thema oder eine Idee adressiert und an die Teilnehmenden vor Ort gerichtet wird, um sie zur Partizipation einzuladen. Als zweiter Punkt ist die Raumgestaltung zu beachten. In der Regel wird auf eine offene Raumgestaltung gesetzt, wie etwa als Gruppen angeordnete Stühle oder Gruppentische. Ebenso kann im Rahmen einiger LS auch im Stehen gearbeitet werden. Als Nächstes werden Materialien aufgezählt, die zur Umsetzung der konkreten Mikrostruktur benötigt werden. Folgend sind auch die Frage nach der Gruppenzusammensetzung sowie der Partizipation immer Teil der Beschreibung einer LS. Abschließend werden die genauen Schritte und die ihnen zugeordnete Zeit erläutert. Als Grundlage für die folgenden Abschnitte dienten neben dem Buch zu LS, die deutsche Seite zu LS sowie die App. Die Quellenangaben finden sich am Ende des Beitrags.

Beispiel 1: 1-2-4-All (Offenlegen)

Mit dieser LS können Diskussionen in beliebig großen Gruppen geführt werden, bei denen alle Beteiligten einbezogen werden. Ziel ist es, dass alle Anwesenden die gleichen Informationen erhalten und die Diskussion nicht endlos fortgeführt wird. Dadurch, dass allen Teilnehmenden die gleiche Redezeit eingeräumt wird, sollen auch eher zurückhaltende Menschen zu Wort kommen. Durch dieses Vorgehen ist zudem niemand auf das Zuweisen von Redezeit etwa durch Vorgesetzte angewiesen. Auch bietet das anfängliche Arbeiten in Zweiergruppen eine Art Safe Space für einen Austausch, der Machtdynamiken minimiert.

Durchführung

  • Die Einladung enthält die zu diskutierende Frage im Anschluss an eine konkrete Problematik und erfragt z.B. Lösungsvorschläge oder Ideen zu aktuellen Herausforderungen.
  • Raumgestaltung und Material sollten den Teilnehmenden ein Face-to-Face Arbeiten ermöglichen, d.h. zum Beispiel kleine Gruppentische für 4 Personen. Die Teilnehmenden können aber auch stehen oder sitzen. Bei großen Gruppen sind für den letzten Schritt ggf. Mikrofone nötig. Zudem benötigen die Teilnehmenden Material zum Festhalten von Notizen.
  • Für die Partizipation ist entscheidend, dass alle die gleiche Zeit zum Reden erhalten. (Siehe hierzu nachfolgenden Abschnitt zu Schritten und Zeiten)
  • Für die Gruppenzusammensetzung sind im Verlauf verschieden große Gruppen angedacht: Erst Einzelarbeit, dann in Zweier- und Vierergruppen zum Abschluss im Plenum.
  • Schritte und Zeiten:
    • In Eigenreflektion eigene Gedanken und Ideen aufschreiben (1 Minute)
    • In Zweiergruppen Ideen austauschen, vergleichen, verbessern und ausbauen (2 Minuten)
    • In Vierergruppen Ideen austauschen, vergleichen, verbessern und ausbauen (2 Minuten)
    • Jede Gruppe teilt nacheinander eine wichtige Antwort mit dem Plenum. Durch den schnellen Wechsel zu anderen Gruppen sollten hier Wiederholungen vermieden werden (3 Minuten)
  • Jeder Zyklus sollte nicht kürzer als 3 Minuten und nicht länger als 15 Minuten sein. Falls ein Thema mehr Zeit benötigt, werden mehrere kurze Zyklen empfohlen - lieber zwei Runden á 10 Minuten als eine á 20 Minuten.

Beispiel 2: Conversation Café (Teilen)

Die LS des Cafés der Gespräche ist vor allem dazu gedacht auf Herausforderungen oder gar schockierende Ereignisse 1 zu reagieren und Strategien im Umgang damit zu finden. Ziel ist es dabei, dass ein Raum geschaffen wird um ruhige Gespräche zu führen und das Gehörte nicht zu bewerten, sondern in erster Linie zuzuhören. Dadurch sollen neben einem geteilten Verständnis der Herausforderung Lösungsansätze entstehen. Zugleich helfen der Fokus auf das Zuhören und das Annehmen verschiedener Perspektiven dabei, Diskussionen, die auf einem fehlenden Verständnis beruhen, zu vermeiden. Auch hilft die Mikrostruktur dabei Vertrauen auf- und Ängste abzubauen.

Durchführung

  • Zunächst sollten alle Teilnehmenden eingeladen werden sich in Kleingruppen zusammenzufinden und sich unter Berücksichtigung der Gesprächsregeln zu der bekannten Herausforderung auszutauschen. Zentral ist das gegenseitige Zuhören und Reflektieren.
  • Für die Raumgestaltung werden eine beliebige Anzahl von kleinen Gruppentischen mit Stühlen benötigt. An Material werden zudem ein Redeobjekt 2, sowie bei Bedarf Flipchart-Papier und Stifte benötigt.
  • Für die Partizipation ist es maßgeblich, dass alle miteinbezogen werden und die gleiche Chance haben sie einzubringen.
  • Die Gruppenzusammensetzung sieht gemischte Gruppen von 5 bis 7 Teilnehmenden vor.
  • Schritte und Zeiten:
    • Thema der Unterhaltung üblicherweise in Form einer Frage vorstellen
    • Gesprächsregeln und Ablauf vorstellen
    • Für jeden Tisch/Gruppe einen freiwilligen Gastgeber festlegen, der auf das Einhalten der Gesprächsregeln achtet
    • Erste Gesprächsrunde: Mit Redeobjekt je eine Minute pro Person. Alle erzählen nacheinander was sie denken oder fühlen
    • Zweite Gesprächsrunde: Wieder eine Minute pro Person. Alle teilen nochmals nacheinander mit, was sie denken oder fühlen, nachdem sie in der ersten Runde allen zugehört haben
    • Dritte Gesprächsrunde: Offene Gesprächsrunde ohne Redeobjekt (20-40 Minuten)
    • Vierte Gesprächsrunde: Mit Redeobjekt erzählen alle nacheinander, was sie aus den Runden mitnehmen (5-10 Minuten)

Gesprächsregeln

  • Gesagtes nach Möglichkeit nicht bewerten
  • Gegenseitig respektieren
  • Verstehen statt überzeugen
  • Verschiedene Meinungen wertschätzen
  • Über Dinge reden, die bewegen oder bedeutsam sind
  • Fokus auf Ehrlichkeit und Tiefe statt lange Monologe

Beispiel 3: Min Specs (Strategien entwerfen)

Ziele der Min Specs bzw. Minimal Spezifikationen sind es, überflüssige Regelungen, Abläufe und Mikromanagement aufzudecken und zu beseitigen. So wird mit der Mikrostruktur ein Minimalkonsens erarbeitet, der nur die unbedingt notwendigen Regeln enthält, die unbedingt umgesetzt werden müssen bzw. auf keinen Fall ignoriert werden dürfen. Dadurch, dass eben nur die Minimalanforderungen, die unbedingt eingehalten und beachtet werden müssen, festgehalten werden, wird Raum für Innovation gegeben und Ressourcen werden auf die unbedingt notwendigen Punkte gelenkt. Ebenso wird durch das Festlegen der Min Specs ein gemeinsames Verständnis geschaffen.

Durchführung

  • Für die Einladung werden die Teilnehmenden aufgefordert zu einer konkreten Herausforderung oder einem bekannten “Flaschenhals” innerhalb ihrer Arbeitsabläufe Dos und Don´ts aufzulisten, die beachtet werden müssen, um ein konkretes Ergebnis zu erzielen. Diese Liste stellt die Max Specs also Maximal Spezifikationen dar. In einem nächsten Schritt werden die Teilnehmenden gebeten, diese Liste auf die absolut notwendigen Punkte zu reduzieren.
  • Für die Raumgestaltung sollten Stuhlgruppen von vier bis sieben Stühlen bereitgestellt werden. An zusätzlichem Material sollten Schreibmaterialien zum Festhalten der Dos und Don´ts bereitgestellt werden.
  • Die Partizipation wird dadurch gewährleistet, dass alle, die mit dem Thema befasst sind, teilnehmen können und gleichermaßen die Möglichkeit haben etwas beizutragen.
  • In Bezug auf die Gruppenzusammensetzung wird zunächst mit Einzelarbeit gestartet, danach wird in Gruppen von 4 bis 7 Personen weitergearbeitet. Abschließend werden Ergebnisse mit der gesamten Gruppe geteilt.
  • Ablauf und Dauer:
    • Erstellen der Liste mit allen Must-Do und Must-Not-Do Tätigkeiten, die zur Erreichung eines konkreten Ziels abgearbeitet werden müssen. Zunächst alleine (1 Minute) und anschließend wird die Liste in Kleingruppen vervollständigt (5 Minuten).
    • In Kleingruppen werden jene Punkte von der Liste gestrichen, die nicht zwingend notwendig sind, um das Endergebnis zu erreichen (15 Minuten). Wenn nötig kann hierzu noch eine zweite Runde von 15 Minuten anschließen.
    • Im letzten Schritt werden die Listen der jeweiligen Kleingruppen im Plenum verglichen und zu einer Liste zusammengefasst, die so kurz wie möglich sein soll (15 Minuten).

Beispiel (nach Lipmanowicz/McCandless S.231 ):

Ein erfolgreiches meeting
Ort und Zeit bekannt geben Min Specs
Experten als Redner buchen Kein Min Specs
Detaillierte Agenda formulieren Kein Min Specs
Power Point Folien erstellen Kein Min Specs
Konkreten Zweck/ Ziel benennen Min Specs

Quellen & Weiterführende Informationen:

  • Henri Lipmanowicz, Keith McCandless: The Suprising Power of Liberating Structures, Liberating Structures Press. Das Buch steht in der Universitätsbibliothek der Philipps-Universität Marburg zur Verfügung.
  • App LiSA die alle Liberating Structures mit Anleitung zur Durchführung sowie Tipps zur Druchführung enthält. Auch für einen Schnelleinstieg geeignet.
  • Deutsch Internetseite zu Liberating Structures
  • Internetseite The Liberators mit weiterführenden Infromationen zu Liberating Structures und Scrum Teams

  1. So beschreiben Lipmanowicz und McCandless, dass das Conversational Café in Amerika erstmals nach dem 11. September angewendet wurde. 

  2. Ein Redeobjekt ist ein Hilfsmittel und kann ein Stein, ein Talking Stick oder ein beliebiger Gegnstand sein. Wer das Redeobjekt hält, hat das Wort.